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Reinlesen

Hier könnt ihr eine Erzählung aus dem Buch, an dem ich momentan arbeite, lesen. Mehr zum Buch und zu mir.

In der Geschichte erzähle ich, wie Georg, erfolgreicher Selfmade-Millionär, mit seinem Mercedes zur Arbeit unterwegs ist, als Protestierende vor seinem Auto die Straße blockieren. Entschlossen, sich nicht aufhalten zu lassen, nimmt er die Sache selbst in die Hand und schleift den Blockierer von der Straße. Dabei erleidet er eine Herzattacke und sinkt dort auf die Straße nieder, wo zuvor der Aktivist gesessen hat.

Die Erzählung ist schon auf TEXTEM, Texte und Rezensionen erschienen. Lesezeit sind circa 7 Minuten. Teilt die Geschichte gerne, wenn sie euch gefällt. Viel Spaß dabei!

Vom U-Boot und dem Brüllen der Nashörner

Ende Autobahn. München Einsteinstraße. Das Abbremsen ist kaum zu spüren; die Beschleunigung, wenn ich abends aus der Stadt rausrolle, Richtung zu Hause, ebenso wenig, und auch ein schönes Tempo auf der Autobahn nicht. Zwei Tonnen bestes Material, angetrieben von einem Dieselmotor, sechs Zylinder, schluckt offiziell gerade mal siebeneinhalb Liter auf hundert Kilometer.

Schwarz. Ich weiß, schwarze Mercedesse finden manche Leute gangsterhaft. Ich nicht. Fahren fast alle Staatschefs und denen würde niemand unterstellen, Gangster zu sein, oder?

Lederbezüge. Ich weiß, nicht vegan, aber die Tiere sterben sowieso für die Fleischproduktion. Das Leder ist nur ein Abfallprodukt und nun mal viel langlebiger, letztlich nachhaltiger, könnte ich mir vorstellen, als andere Materialien. Kompostiert auch zu einhundert Prozent. Eigentlich ein idealer Werkstoff in diesen Zeiten.

Die Ruhe hier drinnen liebe ich. Windgeräusche, Abrollgeräusche, Motorenklang, kaum zu hören. Wie in einem U-Boot, weit weg von allem, draußen tausende Tonnen Wasserdruck. Eine Blase der Stille, die mich zur Arbeit trägt. Klassische Musik höre ich gerne. Ich weiß, viele Leute finden, das passt nicht zu mir, weil ich einen Baustoffhandel habe und kein Studium. Mit dem Handel habe ich oft eine Menge Stress, da bringt mich die Musik runter. Chopin mag ich besonders gerne, die Sonaten gefallen mir am besten. Ich bin kein Kenner, das weiß ich, ich kann nicht sagen, welche Einspielung von welchem Virtuosen oder welcher Virtuosin mit welchem Orchester und mit welchem Dirigenten wirklich ganz einsame Spitze ist. Ich höre da keine großen Unterschiede. Aber ich verdiene meine zweihunderttausend im Jahr. Und das ist netto.

Mein Haus liegt im Umland. Und ich weiß, es ist nicht speziell repräsentativ. Es ist einfach das Haus meiner Eltern und mein Vater lebt auch noch bei uns im ersten Stock. Natürlich habe ich alles neu machen lassen – Sauna ja, aber ohne Indoor- oder Outdoorpool, Panoramaverglasung oder solche Sachen. Gut dämmen habe ich es lassen. Und eine Wärmepumpe hatte ich schon, da wussten die meisten Grünen noch nicht mal, wie man das buchstabiert.

Georg heiße ich. Schorsch werde ich genannt, natürlich. Schnauzbart trage ich. Und ja, ich weiß, dass Schnäuzer nicht mehr getragen werden. Einen Bauch habe ich auch, fast schon eine Wampe und die trägt man heutzutage ja auch nicht mehr. Und natürlich können Sie da jetzt über mich lachen, aber Sie können mir auch den Buckel runterrutschen.

 

Hier geht es runter auf achtzig. Draußen der Tag ist fad, ein paar Termine stehen heute an, ins Lager muss ich auch. Wenn ich gut durchkomme, ist es eine Dreiviertelstunde von zu Hause ins Büro.

Die Ampel vor mir an der Kreuzung schaltet auf Gelb, ich bremse runter, fünfzig … dreißig. Am Straßenrand stehen Leute mit orangenen Transparenten, tragen grelle Warnwesten. Als die Ampel auf Rot springt, laufen drei von denen auf die Fahrbahn, einer setzt sich auf meine Spur, mitten auf die Fahrbahn, direkt hinter die Haltelinie der Ampel, zehn Meter vor mir.

Hitze schießt mir hoch. Lasse den Wagen rollen. Schritttempo. Mit mir nicht, meine Lieben. Nicht mit mir. Ich weiß, wer ihr seid. Lasse ihn immer weiter rollen, auf den einen, der da hinter der Haltelinie am Boden sitzt, zu, immer weiter.

Jemand in gelber Warnweste hämmert von der Seite auf die Motorhaube. Mir reißt der Faden. Anhalten, Losschnallen, Tür auf. Springe raus, stoße mir dabei brutal den Kopf am Rahmen. Mein ganzer Körper schwimmt in einer atemlosen, in einer rabiaten Hitze.

„Pratzen weg von meinem Auto“, schreie ich. Benutze ein Schimpfwort. Das macht man nicht, ich weiß, und Sie können mich gern dafür verurteilen. Aber die meisten machen es doch, ich jetzt eben auch. Notwehr würde ich das nennen – gegen den Angriff auf mein Auto.

Die Westenträgerin schaut mich entgeistert an, nimmt aber ihre Hände von der Motorhaube.

Auf der Nebenspur hat ein weißer Lieferwagen gehalten, der Fahrer steigt aus, „die schaffen wir weg“, ruft er mir zu, „schnell, bevor die den Kleber rausholen“.

Meine Hitze verbindet sich mit seiner. Die Hitze vom Schlag gegen den Schädel mit der, die sonst schon da ist. Echauffiert mich die Sache. Ziemlich. Echauffieren heißt erhitzen, das weiß ich, auch wenn ich kein Französisch spreche.

Den einen, den, der direkt vor meinem Auto sitzt, die Stoßstange gerade mal einen halben Meter von seinem Brustkorb entfernt, die Beine im Schneidersitz schon fast unterm Wagen, den pack ich mir. Es war völlig unverantwortlich, den Wagen so weit rollen zu lassen. Die Frau, die mir auf die Motorhaube gegeben hat, hat mir den Allerwertesten gerettet, das sehe ich jetzt und das lässt mich trotz Hitze frösteln und ich weiß, dass der da wegmuss.

 

Greife ihn an der Jacke, zerre Richtung Grünstreifen. Direkt vor mir zerrt der andere Fahrer, der auch einen von denen am Kragen gepackt hat.

Die wehren sich nicht. Das ist deren Konzept. Ich habe einen Artikel darüber gelesen. Zivilen Ungehorsam nennen die das. Für das Richtige einstehen, auch gegen Gesetze, wenn die Gesetze das Falsche schützen. Hab ich schon verstanden. Wie der Gandhi oder der Martin Luther King oder die Walschützer anno dazumal. Letztlich denken die, sie wüssten es besser als wir Anderen. So sieht es doch aus.

„Hey, Sie tun mir weh“, ruft der, den meine kalte Hitze mit einer Kraft, die überraschend ist, zum Bordstein schleift.

Wahrscheinlich ist das Körperverletzung. Sehr sicher ist es das. Wahrscheinlich würde der Richter ein Auge zudrücken. Notwehr. Sehr sicher deshalb, weil er auch Mercedes fährt und auch ein Einfamilienhaus hat.

„Was glaubst du, warum ich habe, was ich habe?“, rufe ich. Keuche dabei, weil der Kerl ein ganz schönes Schwergewicht ist. „Weil ich ’s mir verdient habe. Dafür geschuftet habe. Und jetzt soll das alles falsch sein, ja?“ Die Arme zittern mir. Der andere Fahrer schleift schneller, das sehe ich und das gefällt mir nicht. Ich versuche, ihm hinterherzukommen. „Meint ihr, ich bin blöd? Bin ich nicht. Weder blöd noch blind. Ich weiß, was los ist. Ich war im Ahrtal. Ihr bestimmt nicht. Ich hab die Verwüstung dort gesehen. Hab da mit angepackt. Fünfzigtausend Euro gespendet. Ging mir nah. Geht mir auch nah, wenn ich mitkriege, wie die letzten Nashörner krepieren – oder die Bienen hier in Bayern. Dem Volksbegehren hab ich auch gespendet. Artenvielfalt. Und Naturschönheit. Ihr denkt, niemand sonst hat Ahnung.“

Schnaufe schwer, hieve ihn letztlich über die Bordsteinkante. Schweißgebadet bin ich. „Ich bin nicht blöd“, pfeift es raus aus mir.

Bin ich nicht. Man steht nicht gern auf der falschen Seite. Passiert aber, weiß ich aus Erfahrung. Und das schmerzt. Immer. Ich weiß, hier stehe ich mindestens mit einem Bein auf der falschen Seite. Vielleicht schreie ich deshalb so laut. Wenn man da steht, warum auch immer, auf der falschen Seite, kommt einem schnell mal die Hitze, greift sich dann die, bei denen es am einfachsten ist. Weil es guttut, wen, egal wen, am Schlafittchen zu packen.

„Du denkst. Mir ist das alles völlig egal. Ist es aber nicht.“ Lasse ihn los. Mein Herz rast. Zittere vor Anstrengung. Hohen Blutdruck habe ich und eine leichte Gefäßverengung habe ich auch. Schaue auf ihn nieder. Jung das Gesicht, Babyhaut, bleich ist er. Ich würde denken, es kocht in ihm, aber er sieht in sich gekehrt aus, fast abwesend. Erinnert mich an meinen Sohn, das Gesicht. Der ist gerade dreiundzwanzig geworden, fährt einen BMW X4 und wird auch nicht gerne aufgehalten. Und ja, er hat eine Lebenserwartung von noch gut sechzig Jahren. Eine Enkelin habe ich auch schon, die bekommt alles bis 2100 mit oder darüber hinaus.

„Ist doch …“ Ich sage ein vulgäres Wort, das viele Leute ziemlich oft benutzen. „Was kann ich dafür, dass das Klima kollabiert. Das ist nun mal so. Ist natürlich …“ – wieder das vulgäre Wort – „aber ich hab mir nicht ausgedacht, dass es Kohle gibt und Erdöl. Und dass beim Verbrennen CO₂ entsteht.“ Stoßweise keuche ich ihm das ins Gesicht, meinem Sohn. „Was kann ich dafür, dass es so ist, wie es ist, warum soll ich was tun, wo jeder einfach weitermacht? Da kann man als Einzelner überhaupt nichts machen, verstehst du das nicht?“

Er schaut mich ziemlich perplex an, glaube ich. Ich spüre mein Herz. Ein Schmelzen. Vielleicht Anzeichen der Krisis, die dem Infarkt vorausgeht.

 

Für einen Moment ist es ruhig um mich. Wie in meinem U-Boot. Alles wie unter Wasser. Höre direkt hinter mir dumpf eine Autotür zuschlagen, drehe mich in Zeitlupe um. Der Fahrer mit dem Lieferwagen hat den anderen Blockierer nicht weit entfernt auf dem Grünstreifen zurückgelassen, ist zum Wagen, wieder eingestiegen.

Taumele. Höre einen Ruf. Von dem Kerl, den ich beiseitegeschafft habe, glaube ich. Wohin es mit mir geht, ist nicht so klar. Zum Auto möchte ich. In meine stille Welt. Chopin hören. Asphalt unter meinen Füßen. Höre die Bienen in meinen Ohren summen, die Nashörner brüllen. Speiübel ist mir. Sticht mich in der Magengegend. Ich sinke, erst in die Knie, dann zu Boden auf alle Viere, spüre die Straße unter meinen Händen, glattgescheuert von zahllosen Reifen. Das Herz galoppiert dahin. Ob Nashörner galoppieren? Bienen sicher nicht. Polizeisirenen heulen wie Kleinkinder. Meine Enkelin heult auch manchmal. Zum Herzerweichen. Ich kippe weiter, lande auf meinem Allerwertesten.

Es hupt. Wieder und wieder. Ich hebe den Kopf, kostet mich alle Kraft. Direkt vor mir steht der Lieferwagen, der andere Fahrer, brüllt hinter der Windschutzscheibe, zeigt mir einen Vogel. Der Motor heult. Vielleicht heult er auch, der Fahrer.

Neben mir, ein Stück entfernt, sitzt der letzte von den Blockierern. Eine Frau. Die Letzte also. Trägt schnell und gekonnt Kleber auf ihre Hände auf, zwinkert mir zu und wirft die Tube rüber. Will mich die …?

Ihr Gesicht blickt entschlossen. Presst die Handflächen auf den Asphalt. Couragiert. Man muss auch mal Courage haben. Weiß ich. Courage kommt von Coeur, Herz, Beherztheit. Weiß ich. Auch ohne Französisch.

Um mein Herz ist es gerade nicht so gut bestellt. Aufstehen geht nicht. Ich sitze hier fest. Fühle mich ein bisschen wie ein Nashorn kurz vor dem Aussterben.

Das Hupen der Autos gellt mir in den Ohren. Polizisten kommen auf uns zu. Gemessenen Schritts, um die Ordnung wieder herzustellen. Direkt dahinter läuft ein Fernsehteam hektisch herbei, das Mikrofon nach vorne gestreckt, die Kamera routiniert auf die Szene sich sich gerichtet.

„Verlassen Sie bitte sofort die Fahrbahn. Sollten Sie dem nicht Folge leisten, werden ich und meine Kollegen mit unmittelbarem Zwang nachhelfen.“ Sie brüllt das nicht, das macht man heutzutage als Polizist in Deutschland nicht mehr – die Stimme erhoben hat sie aber schon, um sich bei der Frau und mir, die wir den Verkehr aufhalten, Gehör zu verschaffen.

Die Blockiererin neben mir will nichts entgegnen, ich kann nicht, weil mir die Luft knapp ist, würde aber schon gerne was sagen. Zum Beispiel, dass ich Hilfe gebrauchen könnte. Die Polizei, Ihr Freund und Helfer.

Ein Beamter steht ganz aufrecht, Hände hinter dem Rücken, Brust raus, der Fuß wippt ungeduldig. Seine Kollegin mit akkuratem blondem Pferdeschwanz wirft einen Blick auf die Uhr. Sicher ist die Zeit knapp, sicher haben sie Anderes und Besseres zu tun. Trotzdem warten sie, vermutlich, weil es eine Vorschrift gibt, uns Zeit zu lassen, dem Aufruf Folge zu leisten.

Ich versuche, die Hände vom Asphalt zu nehmen, möchte zeigen, dass ich nicht dazu gehöre, lasse es aber, als ich merke, wie ich umsacke.

Vom Fernsehteam drängt ein älterer Typ mit Halbglatze nach vorne, die Haare über die Platte frisiert. Kamera und Mikro sind jetzt auf mich gerichtet. „Und Sie, was hat Sie motiviert, die Straße zu blockieren?“ Lokalredakteur mit Hoffnung auf den großen Wurf. Vielleicht war es er, der über das Verschwinden der Bienen in Bayern geschrieben hat. Vielleicht mit einem Hinweis auf andere bedrohte Arten, wie das Breitmaulnashorn.

Kann schon sein, dass ich hier nicht alleine wegkomme. Dann müssen die mich tragen. Brauchen sie sicher ein paar Mann für, wenn man bedenkt, was ich auf die Waage bringe.

Der Journalist schaut mich erwartungsvoll an.

Angst packt mich am Schlafittchen. Dass das hier schiefläuft, dass ich hier einfach wegsterbe, als letztes Exemplar meiner Art mitten im Scheinwerferlicht der Presse. Tragischer Todesfall bei Klimablockade. Oder: Blockierer beißt in den Asphalt: Wohin Widerstand führt.

Der Fernsehtyp wartet einfach auf eine Antwort. Ich kriege keinen Ton raus, spüre aber, wie mir von ganz unten aus dem Bauch ein Lachen in die Kehle kriecht, wie mir der Schweiß feucht und klebrig in den Hemdkragen rinnt, wie mein Arm nachgibt, ich langsam seitlich auf die Straße niedersinke, zum Liegen komme; ich glaube, mich röcheln zu hören. Und eins weiß ich, ganz sicher: Heute Abend bin ich in den Acht-Uhr-Nachrichten.

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